Das Klassenzimmer ist ein Bühnenraum

Andreas TalarowskiAllgemein

Ich habe gerade mit „Bühnenstimme – ein Kurs für Lehrende im Fach ‚Darstellendes Spiel‘ in der Grundschule“ meinen 100sten Workshop gegeben. Vielleicht der richtige Moment, einmal über diese spezielle Arbeit nachzudenken.

Das Fach ‚Darstellendes Spiel nimmt an unseren Schulen einen immer größeren Raum ein, in Berlin ist es inzwischen sogar Abiturfach. Daher ist es naheliegend, dass ich seit nunmehr 12 Jahren diese Workshops für den Berliner Senat leite, als Teil der Fortbildung, die Lehrer und Lehrerinnen berechtigt, dieses Fach zu unterrichten. In den letzten Jahren erweiterte sich die Zielgruppe, daher geht es jetzt mehr um die Stimmarbeit für ‚Darstellendes Spiel in der Grundschule‘.

Die Intention der bisherigen Kurse war eindeutig: wenn ich Textarbeit auf einer Bühne anleiten will, muss ich erst einmal selbst einen sicheren Umgang mit den Anforderungen an eine Bühnenstimme haben, bevor ich die Schüler anleite. In den Einführungen zu den Kursen jetzt wird es mir aber immer wichtiger zu sagen, dass dieser Kurs heute erst einmal für euch selbst ist – es geht um die Wahrnehmung der eigenen Stimme in diesen besonderen Situationen, und nicht gleich um die Transfer-Leistung, wie ich den Workshopinhalt den Kindern vermitteln kann. Es geht nur um die Stimmerfahrung der Lehrenden,

weil das Klassenzimmer ist ein Bühnenraum.

Auf dieser Bühne herrschen andere Regeln, und die verlangen von uns eine neue Präsenz, eine andere Atmung und eine andere Stimme. So wie das Klassenzimmer kein privater Ort mehr ist sondern ein Bühnenraum, so müssen auch wir, die vorne stehen, eine Bühnenfigur etablieren, die eine größere Präsenz als die Privatperson hat, und diese damit auch schützt. Diese Präsenz erreiche ich durch ein aktives Raumbewusstsein und einer – mehr sängerischen – Atmung. Das führt zu einer anderen, bewußteren und damit flexibleren und belastbareren Stimmgebung.

Im letzten Kurs gab es bei meiner Ankündigung: „dies ist ein Tag nur für euch selbst!“ sehr heftige emotionale Reaktionen, denen wir erst einmal Raum geben mussten. In dem Moment wurde deutlich, wie notwendig es ist, in unserem fordernden beruflichen wie privaten Alltag solche Fortbildungen zu haben, die unsere eigenen persönlichen Ressourcen nähren. Die Erfahrung der eigenen Stimme in ihrer vollen Kraft und Energie kann eine sehr emotionale Selbstwahrnehmung auslösen.

Warum ist das Klassenzimmer ein Bühnenraum? Wir haben einen Bühnenbereich mit uns selbst als Darsteller, und wir haben ein oft unruhiges Auditorium. Nun können wir nicht erwarten, dass man uns zuhört, wenn wir die anderen nicht erreichen. Unser Sprechen in diesem Raum braucht daher mehr Melodie und ein anderes Tempo, um die Aufmerksamkeit zu gewährleisten. Je mehr Melodie eine Stimme in sich birgt, umso mehr hört man ihr zu. Wir aber sind es gewohnt, so zu sprechen, wie wir denken – zu uns selbst – und glauben, das genügt im Raum. Wenn ich aber mit diesem Denken dann einfach lauter werde, transportiert meine Stimme Aggression, egal was meine eigentliche Intention ist.

Es geht darum, eindeutige Botschaften zu senden. Das Auditorium ist verunsichert, wenn es eine intellektuelle Botschaft bekommt, der Stimmklang aber etwas anderes sagt. Eine erfolgreiche Kommunikation gründet sich zu 55% auf der Körpersprache, zu 38% auf den Stimmklang und lediglich 7% sind für die inhaltliche Ebene verantwortlich.

Die Bühnenfigur beschäftigt sich mit diesen 93%

Wir leben in einer „non-oral-society“ (Patsy Rodenburg), d.h., unsere alltägliche Stimme übernimmt keine Verantwortung, sie riskiert nichts. wir sind „word-shy“ (auch P.R.) und fürchten, unser Wort hat keine Autorität. Bei solch einem ‚mind-set‘ wird es schwierig, das Geschehen in einem Klassenraum souverän und erfolgreich zu gestalten. Eind Bühnenfigur dagegen ist nicht nur um die intellektuelle Vermittlung bemüht, es geht auch um eine emotionale Verbindung zur eigenen Stimme, was mehr Energie und Gegenwärtigkeit erfordert als im Alltag.

Dieses neue ‚mind-set‘ muss ich üben. Nur mein Üben verändert die Art, wie ich Klang erzeuge. Das verankert sich im Unterbewusstsein und kann dann bei Bedarf abgerufen werden. Ich muss aber mit meinem Vorhaben in Verbindung bleiben, die Stimme zu verbessern. Darum ist es so wichtig, eine Zeit zu haben, wo man sich selbst an erster Stelle setzten kann – in so einem Workshop oder allein, und wenn es dann nur 5 Minuten am Tag sind.

Gegenwärtigkeit fordert Verantwortung.

Dieser kurs eignet sich für Lehrerinnen und Lehrer, sowie Menschen in sprechintensiven Berufen. Auch im Einzelcoaching ist diese Arbeit sehr erfolgreich.