Immer mehr Sängerinnen und Sänger, die zum Unterricht in mein Studio kommen, interessieren sich für das Belten, sei es aus persönlicher oder beruflicher Interesse. Als Belten bezeichnet man einen bestimmten Gesangsstil, der im Musical, Jazz – und Popgesang eingesetzt wird.

Gerade für Schauspieler, deren Arbeit sich in den letzten Jahren sehr in den Musikbereich geöffnet hat, ist dieses Thema unumgänglich geworden.

Leider herrscht in Deutschland immer noch Unklarheit über die Herangehensweise und technische Beschreibung, was belten letzten Endes eigentlich ist. Die Lehrmethoden sind sich nicht einig, ob es eine andere Registerarbeit, eine gänzlich andere Technik oder einfach eine besondere stimmliche Begabung ist.

Immer mehr Sängerinnen und Sänger aus dem professionellen Bereich kontaktieren mich mit einem ähnlichen Anliegen:

„Ich stehe auf der Bühne und singe mein Repertoire, aber eigentlich weiß ich nicht, was genau ein gesunder belt ist. Kann meine intuitive Herangehensweise abgesichert werden durch objektive Beschreibungen der realen Funktionen, die mir tools geben, die Stimme abrufbar sicher und gesund führen zu können?“

Was ist es nicht?

Da, wie gesagt, die Beschreibungen sehr unterschiedlich sind, ist es erst einmal einfacher zu benennen, was es garantiert nicht ist: Entgegen der in Deutschland immer noch hartnäckgig verbreiteten Meinung ist belten niemals ein Hochziehen der Bruststimme.

Nun müssen wir uns fragen, woher diese gängige Definition kommt, wo doch jeder Sänger weiß, dass die Verlagerung und Missachtung der Gesetze der Registergrenzen sich stimmschädigend auswirkt, und die Gefahr für die Belastbarkeit des künstlerischen Instruments bedeutet.

Diese Irritation entsteht durch die Ansicht, dass in unseren Breiten eine ausgebildete Stimme immer mit einem klassischen Klang verbunden wird, während nicht-klassische Sänger eher ‚aus dem Bauch heraus‘ singen,d.h., einen intuitiven Zugang haben, der durch eine (eben klassisch orientierte) Stimmbildung nur gestört wird. Daher wird auch der klassische Gesang als der ‚richtige‘ bezeichnet, und alles Andere hat nicht mal einen Namen.

Die Einführung des Begriffes CCM (Contemporary Commercial Music) ist ein erster Versuch, aber zeigt in seiner Umständlichkeit die Schwierigkeit, gegen den ‚klassischen Gesang‘ etwas Gleichwertiges stellen zu können.

Klassisch contra nicht klassisch (CCM)

In diesem Artikel möchte ich untersuchen, wieso es zur Ansicht einer Bruststimmausweitung kommt, warum genau das von vielen Gesangslehrern als stimmschädigend angesehen wird, und wie ein Weg aussehen kann, eine sichere belt-Funktion, die den Belastungen des Musical-Theaters standhält, zu etablieren.

Oft ist es tatsächlich so, dass Sänger über das Hochziehen der Bruststimme versuchen zu belten, weil es eben für unsere am klassischen Klang orientierte Ohren so klingt.

Die Basistöne eines Registers sind immer schwach, während die oberen Töne des Registers stark sind. Da die belt-Literatur der Frauenstimmen in einer Lage geschrieben ist, in der eine klassisch orientierte Stimme nicht ihr volles Potenzial entfalten kann, ist es naheliegend, dass gerade Sängerinnen dazu tendieren, die Bruststimme auszuweiten, weil die oberen Töne dieses Registers eben die nötige ‚Durchschlagskraft‘ haben. Das Denken in klassischen Registerkategorien führt dann dazu, diese Funktionen zu isolieren, was zu einem Loch in der Stimme führt, da die Mittelstimmfunktion ausgespart wird und die Kopfstimme bei f’/g’/as‘ nicht trägt.

Durch diese getrennte Nutzung kann es einen dauerhaften Bruch zwischen Rand-und Vollschwingung geben.

Es wird deutlich, dass das Denken in drei Registerkategorien, verbunden mit ihren klassischen Klangkriterien, für den belt nicht anwendbar sind.

Es besteht aber die Möglichkeit, einen ‚mix‘ zu finden, den wir als Mittelstimme ‚fühlen‘, und dessen unteren Bereich zu stärken, was eine Immagination der Bruststimme ergibt.

Durch die nicht so tiefe Kehlkopfstellung bei weitem Parynx, verbunden mit einer höheren Verschlussrate der Stimmbänder, wird die Bruststimmfunktion ‚immitiert‘, funktional bleibt es aber immer ein mix.

Die Unterscheidung in schwere (M1) und leichte Funktion (M2), die aber immer gleichzeitig anwesend sind, wurde schon in den 80er Jahren von Richard Miller beschrieben:

„It is pedagogically convenient to call a vocal register, in which the thyroarythenoids are predominant the heavy mechanism, and to call these registers in which the cricothyroids are predominant the light mechanism, so long, as it is understood that there are not actually two separate mechanisms, but changing dynamic balances among the laryngal muscles.“ – Richard Miller: „The structure of singing“

Mary Saunders, Professorin an der Penn State University, hat diesen grundlegenden Vorgang auf der Kehlkopfebene in einem für Sänger hilfreichen Bild beschrieben: Sie spricht von einer Zirkusarena, wo eine Pferdenummer gezeigt wird – die Akrobatin führt zwei Pferde nebeneinander im Kreis durch die Manege und springt dann auf ein Pferd auf. Während sie von einem Pferd auf das andere wechselt, zeigt sie ihre Kunststücke. Für das Gelingen der Nummer ist es Voraussetzung, dass die Pferde immer nebeneinander laufen, nur so kann sich die Kunst der Artistin frei entfalten.

Dies ist ein schönes Bild, um das komplizierte Zusammenspiel der von Miller erläuterten Funktionen der Kehlkopfmuskulatur zu beschreiben.

Kriterien des klassischen Klanges und des belten

Wir erkennen einen klassischen Klang durch die Wahrnehmung einer Nord-Süd-Achse in der Resonanzentfaltung: diese wird erreicht durch eine bewusste Tiefstellung des Kehlkopfes, Heben des weichen Gaumens und der Entfaltung des Kuppelklanges hinten oben bei einer dunklen Einfärbung der Vokale mit ovaler Mundstellung.

Für wichtig halte ich es, immer daran zu erinnern, dass der belt nur ein Merkmal des nicht klassischen Klanges ist, den wir so beschreiben: Angerstrebt wird eine nicht so tiefe Stellung des Kehlkopfes und ein weniger gehobener Gaumen, d.h., das Ansatzrohr wird verkürzt, darum wird der Mund in die Breitspannung des Ost-West-Raumes geöffnet, um den akustischen Raum viel weiter nach vorn zu öffnen, wobei die Vokale heller werden, und sich mehr im Bereich der ‚gehobenen‘ Sprache bewegen.

Irritationen

Ich mache in meinem Studio immer wieder die Erfahrung, dass sich Irritationen in der unterschiedlichen Klanggebung ergeben, weil die Studenten eine falsche Herangehensweise für einen klassischen Klang gelernt haben: sie definieren einen ‚klassischen Klang‘ oft als isolierte Kopfstimme ohne Körperanbindung (und lehnen das daher richtigerweise ab), während ein belt bei ihnen einfach ein Klang mit mehr Körperanbindung darstellt. Das ist aber zu kurz gedacht.

Dadurch stehen beide Funktionen unvereinbar nebeneinander und isolieren sich. In Wirklichkeit haben sie viel mehr miteinander zu tun – vorausgesetzt, der Sänger wendet beide Funktionen richtig an, und hat ein Bewusstsein für die Unterschiede: das ergibt den ‚mix‘.

„The mixed voice is in no way a reduction or corruption of the bel canto traditions; musical theater singing is a wide-spectrum style where classical concepts like ‚fach‘ no longer apply.“ – Mary Saunders

Das Klangideal einer richtig verstandenen belcanto-Tradition ist auch hier die Mittelstimmdominanz, wobei die schwedisch-italienische Tradition sogar von der ng-Position der Zunge ausgeht, wie sie im Belten auch gesucht wird.

Ich halte meine Sängerinnen dazu an, den richtigen klassischen Klang nicht zu vermeiden, sondern ihn, was Atemarbeit, Körperanbindung und Stabilisierung der Kehlmuskulatur angeht, zu nutzen.

Wir wissen heute, dass der belt eine bis zu 70% höhere Verschlussrate der Stimmbänder zeigt, was einen immensen subglottischen Druck zur Folge hat. Dem kann nur durch eine sichere Körperanbindung über die Flanken, die abs und den solar plexus begegnet werden.

Nur so können der schwere (M1) und der leichte Mechanismus (M2) ideal zusammenwirken und das Klangbild hervorbringen, was wir unter belt und mix verstehen.

Funktionale und klangliche Merkmale des belten

Wenn wir diese Merkmale besprechen, zeigt es sich, dass wir über unsere Hörtradition und damit auch über unsere Lehrtradition hinausgehen müssen:

Belten wird immer mit Bruststimmfunktionen gleichgesetzt, weil wir vom Hören her anscheinend eine generelle Affinität zu diesem schweren Klang haben – wir verbinden ihn mit Energie, Intensität, Drama und Leidenschaft, mit unmittelbarer Lebendigkeit.

Der typische Belt-Klang wurde entwickelt, um in den frühen Zeiten des Musicals mit der Stimme über ein bläserlastiges Orchester zu kommen. Heute, wo jede Vorstellung mit Mikroports verstärkt wird, wäre das eigentlich nicht mehr nötig – trotzdem verlangt das Publikum nach diesem Klang.

Wie sichern wir also diese schwere Funktion ab, damit sie nicht unnötig die Stimme belastet?

Entlastend für die Stimme wirkt sich eine generelle Mischfunktion aus.

Der Begriff Bruststimme, wie er in der Klassik definiert wird, geht immer mit der Kehlkopftiefstellung einher und gilt hier daher nicht. Ingo Tietze, Professor für Stimmphysiologie in Utah, sagte schon immer:

„Die Tiefstellung des Kehlkopfes ist kein gesundheitliches Merkmal, sondern ein stilistisches.“

Wir bleiben daher bei der Benennung ’schwerer Mechanismus‘ (M1), was eine Dominanz der Vollschwingung auf den Stimmbändern ist.

Öffnet sich der Resonanzraum in die ost-west-Richtung bei nicht-tiefgestelltem Kehlkopf bei einer dominierenden Vocalis-Funktion, können wir immer deutlicher den charakteristischen ‚Belt‘-Klang heraushören.

Als ‚Gegenspieler‘ sind immer auch die cricothyroids in Aktion, die einzigen äußeren Kehlkopfmuskeln. Sie können den Schildknorpel nach vorn kippen, wodurch die Stimmbänder gedehnt werden und Masse reduzieren: dies ergibt den ‚leichten Mechanismus'(M2) und ist Voraussetzung für die hohe Lage.

Die ’ng-Position‘ der Zunge, die den Kehldeckel weiter hebt, unterstützt diese Kippbewegung des Kehlkopfes und führt so zum ‚bright sound‘ des Vordersitzes, wiederum charakteristisch für den ‚mix‘.

Erst das Zusammenspiel dieser beiden Funktionen ergibt das vollwertige künstlerische Instrument.

Schlussfolgerung aus der Erfahrung

Es darf nicht länger passieren, dass eine Sängerin in der Audition die Erfahrung macht, dass sie auf die Frage hin:

„Schöne Stimme – aber können Sie das auch belten?“ – das Gefühl hat, sich auf technisches Glatteis zu begeben, da ihr keine abrufbaren tools zur Verfügung stehen, ausser einfach lauter zu singen.

Die tools sind:

Die Fähigkeit zu haben, auf jeder Tonhöhe souverän mit den Mischverhältnissen von M1 und M2 spielen zu können.

Dafür muss ich zunächst echte Randkantenschwingungen der Kopfstimme etablieren können.

In diese Funktion integriere ich Merkmale der erhöhten Sprechstimme.

Das ergibt den mix.

Kann die Körperanbindung die Kehle von irgendwelchen Stützfunktionen freihalten, kann ich immer mehr M1-Funktionen hineinmischen, was zum Belt führt.

„The mixed voice is the red carpet to the belt.“ – Mary Saunders

Ziel dieser Arbeit ist immer, die Wahlmöglichkeiten zu erhöhen, sodass die Sängerin und der Sänger die Sicherheit haben, in jeder Phrase stilistische Entscheidungen treffen zu können, die auch in der Audition-Situation abrufbar sind.